Vito Schiro (links), VPZ Kompetenzbeirat Kapitalmärkte und Bankprodukte, im Interview mit dem Gründer von CRO.Swiss, Christof Küng – Bild: Gerry Ebner
Auch wenn der teuerste, börsenkotierte Konzern der Welt – mit Aramco – erstmals aus Saudi-Arabien kommt; eine nachhaltige Steigerung der Umsatzzahlen sowie bessere Renditen reichen bald nicht mehr nicht mehr aus, um einen ausgezeichneten Ruf zu wahren.
Zwar dominieren die USA die Rangliste der 100 wertvollsten Börsenunternehmen weiterhin. Selbst wenn sieben der zehn aktuell teuersten Unternehmen ihren Sitz in den Vereinigten Staaten haben; nur Unternehmen, die daran arbeiten, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, sind langfristig für Interessengruppen attraktiv.
So sagten im August 2019 Top-CEO's an einem US-Business-Roundtable, dass Unternehmen vor allem in Mitarbeiter investieren, die Umwelt schützen, fair und ethisch mit ihren Lieferanten umgehen sowie ihren Kunden einen echten Mehrwert bieten sollen.
Fast 200 globale Geschäftsführer, darunter die Führer von Apple, Pepsi und Walmart, haben damit die Rolle der Wirtschaft in der Gesellschaft neu definiert.
Sie brechen damit mit einem Jahrzehnte lang gültigen Unternehmenscredo und gaben sogar eine Erklärung zum «Zweck eines Unternehmens» heraus; darin argumentieren sie, dass Unternehmen nicht länger nur die Interessen der Aktionäre vertreten sollten. ESG-Standards werden damit speziell in der Finanzwelt immer wichtiger.
Investoren trauen vor allem Tech-Unternehmen zu, die globale Wirtschaft und damit verbundene Standards künftig noch stärker zu prägen. Aus ihrer Sicht verspreche gerade Europas Leitbranche – die produzierende Industrie – nur wenig Wachstum und darum auch wenig Einfluss. Der Vormarsch der Tech-Konzerne scheint darum auch an der Börse unaufhaltsam.
Vito Schiro: Hier ist definitiv etwas im Tun. Ich glaube, es kommt tatsächlich von verschiedenen Seiten. Von Konsumentenseite kommen speziell sehr hohe Anforderungen. Vor allem vonseiten der jüngeren Generationen. Millennials (Jahrgänge 1980–94) oder Generation Z (Jahrgänge 1995–2010) haben ausgeprägtere Ansprüche an Produkte und Marken. Es wird seitens der jüngeren Generation viel stärker erwartet, dass eine Marke ethisch auftritt und zwar über die ganze Wertschöpfungskettte.
Das Handeln einer Firma muss den ethischen Idealen der Konsumenten entsprechen. Andernfalls bleibt ein wichtiger Teil der Konsumenten weg. Diese Einstellung prägt natürlich den Auftritt – und damit vor allem auch die Reputation – der Firma und beeinflusst das Investorenverhalten. Am Beispiel dieses Konsumentenverhaltens sieht man, wie der Einfluss auf Unternehmen und auch dessen Investoren sich ausbreiteten. Nachhaltigkeit hat an Bedeutung gewonnen.
Vito Schiro: Ich denke schon, dass Verstösse sich bemerkbar machen. Firmen mit tiefen ESG-Werten sind für Konsumenten oder etwa Arbeitnehmer weni-
ger interessant. Dies hat einen Einfluss auf diese Firmen, sei dies nun in Form von Umsatz oder Firmenbewertung an der Börse. Betreffend Investitionen:
Das Integrieren von ESG gewinnt an Bedeutung. Viele, aber längst nicht alle Institute haben ESG-spezifische Mandate im Angebot. ESG ist aber nicht alleinentscheidendes, isoliertes Kriterium – es wird neben anderen traditionellen Parametern wie Bewertung, Volatilität, Qualität angewendet.
Vito Schiro: Das Konzept des nachhaltigen Investierens ist in der Tat nicht exakt definiert. ESG bietet hierfür einen Rahmen, indem es drei wichtige Dimensionen festlegt: Environment, Social und Governance. Die Methodologie, anhand welcher man die Unternehmen dann beurteilt, ist jedoch nicht einheitlich. Das Kriterium «Environment» lässt sich vielleicht am ehesten quantifizieren, etwa in Reduktion des C02-Ausstosses;
Governance erfasst etwa, wie die Führungsstruktur einer Unternehmung ist,Transparenz der Entlöhnung, Zusammensetzung des Verwaltungsrates etc. Bei der Dimension «Social» sind die
Bemessungskriterien weniger deutlich: Wie messe ich Kriterien wie Arbeitnehmerrechte, Sicherheit am Arbeitsplatz oder Community Development. Für die Finanzindustrie ist das Thema Nachhaltigkeit
beim Investieren jedoch zentral.
Vito Schiro: Wir haben uns ESG gegenüber verpflichtet und sollten dies dann auch konsequent versuchen umzusetzen. Ein nicht ESG-konformes Investment darf demnach gar nicht in die engere Auswahl kommen. Diesen Teil umzusetzen ist vergleichsweise einfach – man schliesst solche Investments von vorne weg aus. Schwieriger sind Situationen, in welchen man einen Titel bereits im Portfolio hält, und das besagte Unternehmen gerät hernach wegen ESG-Aspekten in die Kritik.
Hat man als Portfolio den Mut, sich von diesem Titel bedingungslos zu trennen, allenfalls einen Verlust realisieren oder wird man dann kreativ mit Ausflüchten? Solche Situationen stellen die eigene Investment-Nachhaltigkeit auf die Probe. Es kann nur eine Antwort geben: ESG ist konsequent anzuwenden. Ich bin deshalb überzeugt, dass sich unsere Kunden bei einem Abweichen von unseren ESG-Grundsätzen sogar lautstark beklagen würden.
Vito Schiro: Investoren und Analysten sind stark auf Quartalsergebnisse ausgerichtet und die Unternehmen richten sich danach. Die Transparenz, die ein regelmässiges Reporting mit sich bringt, ist sicher positiv. Wenn ein Investor seine Investment-Ziele jedoch so kurzfristig ausrichtet, scheint mir dies falsch und zudem unnötig stressbeladen. Betreffend Nachhaltigkeit und Rendite: Früher war die vorherrschende Meinung, dass man nachhaltiges Investment mit tieferer Rendite bezahlen musste.
Empirische Auswertungen zeigen, dass nachhaltiges Investieren keine Performance-Einbussen mit sich bringt. Im Gegenteil: Es wertet das Portfolio punkto Qualität und Risiko sogar auf. Dies ist auch intuitiv nachvollziehbar: Unternehmen mit guten ESG-Standards dürften weniger oft in Situationen wie Bestechungsskandale, Betrug oder Geldwäsche verwickelt sein. Deshalb: Nachhaltigkeit beim Investieren fördert tendenziell die Performance oder Qualität des Portfolios.
Vito Schiro: Einen ganz neutralen, objektiven Standard gibt es noch nicht. Aber die verfügbaren Daten
hierzu verbessern sich laufend. Mehrere Anbieter beurteilen heute Unternehmen nach ESG-Kriterien. Als Nutzer kann ich heute auf mehrere Anbieter zurückgreifen. Viele Börsen verlangen von den
kotierten Unternehmungen Berichte zur Nachhaltigkeit. Die zugänglichen Informationen zu ESG verbessern sich kontinuierlich. Ebenso entscheidend ist aber die Umsetzung: Mit der Einstufung eines
Investments nach ESG-Kriterien ist eine Grundlage geschaffen. Wichtig ist jedoch, wie setzt man eine nachhaltige Investment-Strategie denn um:
Die weitberbreitetste ist «negative exclusion». Man schliesst Titel oder Sektoren wie etwa Tabak, Alkohol, Glücksspiel oder Rüstung aus. Ein aktiverer Ansatz umfasst das gezielte Bevorzugen von Titeln mit hohen ESG-Werten. In etwa: Man investiert in den Auto-Sektor, indem man die Titel auswählt, welche punkto ESG (und anderer Investmentkriterien) am besten abschneiden. Die global grössten Investment-Firmen wie Fonds, Pensionskassen oder Staatsfonds haben mehr Ressourcen, um eigene ESG-Analysen durchzuführen oder kraft ihrer Investment-Grösse sogar direkt Einfluss oder Druck auf die Gesellschaft zu nehmen.
Vito Schiro: Beginnen wir bei diesem Trend. Das Bewusstsein auf Seiten der Investoren und der Kunden
ist ganz ein anderes als sagen wir vor 5 Jahren. Ich muss zugeben, dass ich bei meinem ersten Kontakt mit ESG noch dachte, es könnte sich dabei um eine temporäre Erscheinung handeln. Das denke
ich heute nicht mehr. Die Zahlen belegen dies. Waren 2016 noch USD 22 Billionen Anlagen nachhaltig investiert,
so sind dies gemäss GSIA Global Sustainable Investment Review report im 2018 bereits über 30 Billionen. Viele ESG-definierte Produkte wurden seither neu aufgelegt. Ausserdem gaben in einer kürzlich erschienenen Umfrage mehr als zwei Drittel der Investoren an, dass sie ihre ESG-Allokation erhöhen wollen. Wir haben also angebots- und auch nachfrageseitig eine klare Bestätigung des Trends.
Vito Schiro: Man muss aufpassen. ESG ist nicht das einzige Kriterium im Investmentprozess. Das
ESG-Kriterium kann vorgeben, welche Anlagen für das Portfolio in Frage kommen. Die traditionellen Investment-Kriterien finden aber nach wie vor Anwendung.
Eine Firma zu nennen, scheint mir deshalb nicht besonders zielführend. Es geht darum, ein Portfolio zusammenzustellen, welches ESG-kompatibel ist und vor allem auch anderen Investment-Kriterien wie Bewertung, Risiko, Qualität entspricht.
Vito Schiro: Ich glaube, es ist etwas, das eine längerfristige Ausrichtung hat. Dennoch sollte man das Thema nicht auf die lange Bank schieben. Man sollte das Thema proaktiv angehen und mit Priorität behandeln. Ich persönlich glaube, dass es auch kundenseitig begrüsst wird.
Die ESG-Thematik ist meistens ein zentrales Thema bei Portfolio-Review-Gesprächen mit Kunden. Wir sprechen dieses Thema auch an, wenn Fondsanbieter bei unserer Firma vorstellig werden. Es ist interessant zu hören, wie Produktanbieter sich diesem Thema stellen.
Vito Schiro: ESG gewinnt an Dynamik und bewirkt eine positive Veränderung bei Unternehmen, Konsumenten und Investoren. Nachhaltig investieren bedeutet nicht, bei Renditeerwartungen Abstriche machen zu müssen.
Im Gegenteil: Es verbessert die Qualität eines Portfolios. Dank der laufenden Verbesserung der ESG-Datenqualität werden auch Investment-Prozesse den Aspekt der Nachhaltigkeit besser umsetzen können
Wir können sagen, dass es ein Muss für jedes Leadership Team ist, nicht nur zustimmend zu nicken, sondern auch eine klare Position zu Umwelt-, Gesellschafts- und Governance-Aspekten (ESG) zu vertreten. Interessanterweise wird diese Sichtweise zunehmend auch in Studien, wie dem jährlichen CEO-Ranking, der Harvard Business Review spürbar.
Mittlerweile machen ESG-Kriterien 30 Prozent des Rankings einer Führungskraft aus, was die sich schnell ändernden Prioritäten vieler Investoren widerspiegelt. Aufgrund der wachsenden Bedeutung von ESG ist beispielsweise Amazon-CEO Jeff Bezos, die klare Nummer eins in Sachen finanzieller Performance, aus dem Top-100-Ranking komplett herausgefallen.