Text: Daniel Künstle & Angelo Gisler – Bild & Grafik: KIG & commsLAB
Krisen sind Zäsuren für die öffentlichen Reputationsdynamiken. Während die letzte globale Wirtschaftskrise – Finanz- & Wirtschaftskrise 2008 – zu einem starken Reputationsverlust der Schweizer Wirtschaft geführt hat, zeigt sich aktuell ein anderes Bild. Die Schweizer Wirtschaft hat bis jetzt reputationsmässig von der Coronakrise profitiert, trotz Sorgen um einen Konjunktureinbruch. Definitionsgemäss spiegelt Reputation die öffentlich geäusserten Erwartungen an ein Unternehmen respektive reflektiert den Grad, zu welchem diese Erwartungen erfüllt oder enttäuscht werden. Anders als in der 2008er-Krise gelingt es den Schweizer Unternehmen aktuell offensichtlich besser, die gesamtgesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen.
Im Zentrum steht momentan vor allem die Bewertung des gesellschaftlichen Nutzens, den insbesondere Grossunternehmen in dieser Krise für die Schweiz entfalten. Und diese Bewertung fällt für viele Sektoren bis jetzt gesamthaft mehr positiv als negativ aus. Das übergeordnete, treibende Narrativ ist dabei die volkswirtschaftliche Verantwortung. Die Unternehmen werden dazu angehalten, ihren volkswirtschaftlichen Nutzen konkret unter Beweis zu stellen und einen aktiven gesellschaftlichen Beitrag zur Bewältigung der Krise zu leisten. Oder um es mit einem gegenwärtigen Trendbegriff zu formulieren: Der Beitrag eines Unternehmens zur Resilienz des Standorts wird zum entscheidenden Reputationsfaktor.
Der aktuell aus 157 Unternehmen der Privatwirtschaft und staatsnahen Betrieben gebildete SERX – Swiss Economy Reputation Index, der seit 2004 kontinuierlich die Reputation der Schweizer Wirtschaft erfasst, weist auf konsolidierter Basis aus, wie sich die öffentliche Wahrnehmung der Schweizer Wirtschaft und ihrer zentralen Sektoren entwickelt hat (abrufbar unter: www.commslab.com/serx). Dabei zeigt sich seit Anfang 2020 eine Entwicklung, die so nicht unbedingt zu erwarten gewesen wäre (siehe Abbildung). Die Reputation der Schweizer Wirtschaft hat trotz Coronakrise deutlich zugelegt. Diese Entwicklung steht damit in scharfem Kontrast zur Entwicklung der Schweizer Wirtschaft in der Krise von 2007/2008 mit ihren damals massiven Reputationsverlusten. Wie ist diese jüngste Entwicklung zu erklären angesichts der weitverbreiten Sorgen um einen durch die weltweiten Corona-Massnahmen ausgelösten globalen Wirtschaftseinbruch?
Reputation entsteht durch das Erfüllen bzw. Nicht-Erfüllen gesamtgesellschaftlicher Erwartungen. Über eine gute Reputation verfügt somit, wer in der Summe die Erwartungen der verschiedenen Stakeholder-Gruppen auf Dauer zu erfüllen vermag. Erwartungen an die Kompetenz und den ökonomischen Erfolg tragen zum Gesamtbild «Reputation» ebenso bei wie Ansprüche an die sozial-moralische Verantwortung und an ein eigenständiges, wiederkennbares Profil (vgl. dazu die von unserem Wissenschaftspartner fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich entwickelte Reputationstheorie). Für die Reputationskonstitution der Wirtschaft und einzelner Unternehmen ist es also von entscheidender Bedeutung, welche Ereignisse aus welchem Blickwinkel behandelt werden. Und hier präsentiert sich die gegenwärtige Situation mit deutlichen Unterschieden zur Finanzkrise von 2008
Anders als bei der Finanzkrise von 2008 stehen aktuell nicht wirtschaftliche Verwerfungen – wie das Platzen der Immobilienblase in den USA – am Ursprung der Krise, sondern eine sich aufgrund des Coronavirus manifestierende weltweite Gesundheitskrise und erst nachgelagert die sich daraus ergebende Angst vor den wirtschaftlichen Folgen. Mit anderen Worten: Die Schuld an der aktuellen Krise wird in der öffentlichen Perspektive nicht einzelnen Wirtschaftssektoren angelastet, sondern als gesamtgesellschaftliches Problem verstanden. Als Folge davon werden die einzelnen Wirtschaftssektoren und ihre Unternehmen vor allen Dingen entlang der Frage beurteilt, wie genau sie mit ihren Kompetenzen die Krise aktiv bekämpfen wollen und können.
So wird beispielsweise von der Pharmabranche erwartet, ihre Forschung schnell und fernab von Profitdenken zur Entwicklung eines Impfstoffes einzusetzen. Die IT- und Telekomindustrie soll eine tadellos funktionierende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, um die Wirtschaft auch im «Lockdown» am Laufen zu halten. Die Banken sind dazu angehalten, die Vergabe der Corona-Notkredite in professioneller Weise abzuwickeln, damit in Not geratene Firmen effizient unterstützt werden können. Und Detailhändler schliesslich stehen unter erhöhter Beobachtung, damit auch in schwierigen Zeiten die gesellschaftliche Grundversorgung sichergestellt werden kann.
Die Reputationsentwicklung der Schweizer Wirtschaft bzw. einzelner Sektoren und Unternehmen in der Corona-Pandemie führt also vor Augen, dass Krisen mit zusätzlichen Risiken verbunden, sondern auch mit neuen Positionierungschancen, da neue Narrative wirkmächtig werden.
Seit dem Aufkommen der alles dominierenden Berichterstattung rund um das Coronavirus greift eine fundamental andere Bewertungsperspektive der Schweizer Wirtschaft. Unternehmen werden aktuell deutlich stärker als in normalen Zeiten nach sozialen Gesichtspunkten beurteilt. Ins Zentrum rückt die Bewertung des gesellschaftlichen Nutzens, den insbesondere Grossunternehmen in dieser Krise für die Schweiz entfalten - und diese Bewertung fällt für viele Sektoren bis jetzt gesamthaft mehr positiv als negativ aus.
Der gesellschaftliche Nutzen wird in der Krise dabei nicht über das ökologische, karitative oder gemeinnützige Handeln der Unternehmen definiert. Vielmehr rückt die Corona-Krise die Frage in den Vordergrund, ob die Unternehmen ihre volkswirtschaftliche Verantwortung wahrnehmen, also wie genau sie ihre Kompetenzen in den Dienst der Gesellschaft stellen und mit welchen Aktivitäten sie konkret zur Unterstützung des Standorts Schweiz beitragen. Von der Krise profitieren konnten folgenden drei Handlungsfelder:
Erstens zeigt sich ein gesteigertes öffentliches Interesse für Produkte und Dienstleistungen, die einen konkreten Beitrag zur Bewältigung oder Linderung der Krise leisten. Stark von dieser Perspektive profitieren konnten bisher die Schweizer Banken dank ihrer Rolle bei der unbürokratischen Vergabe von Notkrediten zur Unterstützung der Wirtschaft.
War die öffentliche Kritik an den Banken nach der Finanzkrise von 2008 noch ausgeprägt stark, bot ihnen die jüngste Krise nun die Chance aufzuzeigen, welche zentrale Rolle sie im volkswirtschaftlichen Gefüge einnehmen. Die volkswirtschaftlichen Erwartungen erfüllen konnten bisher auch die Pharmaunternehmen, indem die Kräfte für die Entwicklung von Coronavirus-Tests, für Medikamente und für einen Impfstoff gebündelt wurden.
Zweitens: Jede Krise ist durch grosse Unsicherheiten geprägt. In Phasen erodierender Gewissheiten braucht es einordnende und orientierungsstiftende Stimmen. Unternehmen verfügen in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen über ausgewiesene Kompetenzen. Diese Kompetenzen nun gezielt in Form von Expertisen, Studien und Research-Aktivitäten der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen ist ebenfalls Ausdruck volkswirtschaftlicher Verantwortung.
Drittens: Die volkswirtschaftliche Verantwortung der Unternehmen wird auch in einer verstärkten Thematisierung der Rolle als Arbeitgeber und ihrem Umgang mit Mitarbeitern reflektiert. So gewannen jüngst Fragen überdurchschnittlich stark an Bedeutung, wie genau die Unternehmen ihre Mitarbeitenden vor der Gesundheitsbedrohung schützen und ob ein effizientes Home-Office eingerichtet wurde, das der Selbstverantwortung der Mitarbeitenden Rechnung trägt.
Die oben zusammengetragenen Ansprüche an die Wirtschaft – und die damit verbundenen Teilnehmer – weisen darauf hin, dass die Wahrnehmung volkswirtschaftlicher Verantwortung – wie bereits bei der Finanzkrise – auf längere Zeit hinaus zum zentralen Bewertungsfaktor der Reputation von Unternehmen und Sektoren werden dürfte. Dies gilt umso mehr, je grösser der wirtschaftliche Einschlag und je stärker die politischen Abschottungstendenzen ausfallen werden.
Reputationsmässig profitieren dürften künftig insbesondere jene Unternehmen, die ihre Bedeutung für den Schweizer Standort bzw. Volkswirtschaft glaubhaft unter Beweis stellen können. Gut positioniert sind dabei jene Unternehmen, die bereits vor der Krise darum bemüht waren, ihre ökonomische Leistungsfähigkeit und Kompetenz zum Wohl ihrer jeweiligen Standorte einzusetzen. Standorte notabene, von deren guten Rahmenbedingungen sie schliesslich auch weiterhin profitieren wollen.
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